Der liberale Kai Wegner und die konservative Cornelia Seibeld im Gespräch mit Andreas Abel; Gilbert Schomaker (Berliner Morgenpost)
Die Berliner CDU befragt ihre Mitglieder zur sogenannten Homo-Ehe. "Sind Sie dafür, dass auch gleichgeschlechtliche Paare die Ehe eingehen können?", lautet die Frage. Cornelia Seibeld, stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, beantwortet sie mit einem klaren Nein. Kai Wegner, Bundestagsabgeordneter und Generalsekretär der Berliner Union, befürwortet die "Ehe für alle". Bei der Berliner Morgenpost trafen sich die beiden zu einem Streitgespräch.
Berliner Morgenpost: Frau Seibeld, Sie sprechen sich für die Beibehaltung der traditionellen Ehe als Partnerschaft von Mann und Frau aus. Warum?
Cornelia Seibeld: Kinder können auf natürlichem Wege nur in einer Beziehung zwischen Mann und Frau geboren werden. Die Kernfrage ist, ob dieser Unterschied dazu berechtigt, unterschiedliche Institutionen zu haben. Ich bin überzeugt, dass dieses besondere Merkmal die Exklusivität der Ehe für Mann und Frau rechtfertigt – unabhängig von Rechten, Pflichten und Gleichstellung. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht konsequent gesagt.
Zusatzfrage: Sie sagen, die Ehe ist die Keimzelle der Gesellschaft. Wieso kann eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft das nicht leisten?
Seibeld: Weil Männer keine Kinder bekommen. Keimzelle im Sinne natürlicher Fortpflanzung – ohne Reagenzgläser, ohne Leihmütter, ohne Eizellenspender – funktioniert nur zwischen Mann und Frau. Deshalb wurde die Ehe im Grundgesetz privilegiert, weil das Fortbestehen der Gesellschaft daran geknüpft ist, dass Kinder vorhanden sind. Zugegeben, vor 65 Jahren war nicht vorstellbar, dass es Kinder auch in anderen Beziehungen geben könnte. Trotzdem bleibt bestehen, dass es nur in Beziehungen zwischen Mann und Frau natürlich gezeugte Kinder gibt.
Herr Wegner, die Förderung der traditionellen Familie gehört zu den Leitbildern der CDU. Wieso soll sich das jetzt ändern?
Kai Wegner: Es soll sich gar nicht ändern. Es gibt mittlerweile viele Ehen ohne Kinder, es gibt andere Lebensmodelle, in denen Kinder aufwachsen. Die Keimzelle unserer Gesellschaft ist die Familie, also dort, wo Kinder sind. Das müssen wir viel stärker fördern. Die Union musste über Jahre für ihr Lebensmodell streiten – die Ehe, in der zwei Menschen verbindlich füreinander Verantwortung übernehmen. Heute stellen das auch andere Parteien in den Vordergrund. Und wenn wir gleichgeschlechtliche Partnerschaften ebenfalls als Ehe bezeichnen, werten wir die Ehe zwischen Mann und Frau ja nicht ab. Wir sollten den Begriff ausweiten auf alle Paare, die füreinander Verantwortung übernehmen, möglichst ein Leben lang. Das ist gut für die Gesellschaft und passt zu den konservativen Grundüberzeugungen der CDU.
Aber hat Sie nicht Ihr Koalitionspartner SPD zur Mitgliederbefragung getrieben? Überfordert die Parteispitze die Basis?
Wegner: Überhaupt nicht. Wir diskutieren intensiv miteinander. Die Debatte in unserer Partei begrüße ich sehr. Die Meinungsbildung findet bei einem wichtigen gesellschaftspolitischen Thema von unten nach oben statt. Das ist gut und zeigt, dass wir eine moderne Mitmachpartei sind. Ich bin sicher, dass das Schule macht. Wir bekommen Zuschriften von CDU-Mitgliedern aus der ganzen Republik. Und wir bekommen viele Reaktionen von Menschen, die nicht der CDU angehören.
Fürchten Sie nicht, dass gleichgeschlechtliche Paare denken könnten: "Der Union ist unsere Partnerschaft weniger wert"?
Seibeld: Ich habe in den vergangenen Wochen ganz viel über Diskriminierung im Alltag erfahren. Das hat nichts an meiner Position geändert, aber viel Verständnis für die Betroffenen hervorgerufen. Deren Probleme finden in der gesellschaftlichen Realität statt. Das kann man mit der Frage "Heißt es Ehe oder nicht?" nicht lösen. Meine besondere Sorge zielt weniger darauf, die Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu öffnen.
Sondern?
Seibeld: Mit welchem Argument sollte man dann Beziehungen von mehr als zwei Menschen ausschließen? Verlässlich füreinander Verantwortung übernehmen, Kinder großziehen, das geht auch in solchen Bindungen. Außerdem werden Fragen um Leihmutterschaft, Eizellenspende und Präimplantationsdiagnostik (PID) auftreten.
Was hat denn das mit der "Ehe für alle" zu tun?
Seibeld: Der Kinderwunsch in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften wird sich über Adoption nicht lösen lassen. Der Zahl der Kinder, die zur Adoption bereitstehen, steht eine Vielzahl von Bewerbern gegenüber. Wenn die Paare verheiratet sind, mit allen Rechten und Pflichten, dann möchten sie auch Kinder haben. Das kann ich von ganzem Herzen verstehen. Dann wird aber folgende Diskussion kommen: Bevor sich diese Paare eine Leihmutter in Mexiko oder der Ukraine suchen, machen wir es doch lieber rechtsstaatlich korrekt im eigenen Land. Dann haben wir Eizellenspende, Leihmutterschaft und PID. Und dann haben wir schnell das perfekte Kind aus der Retorte.
Herr Wegner, wenn man die Ehe öffnet, ist das der Dammbruch in diese Richtung?
Wegner: Nein. Wir sind uns einig, dass das Kindeswohl immer an erster Stelle steht. So wird es auch bleiben. Viele gleichgeschlechtliche Paare wünschen sich Kinder. Aber es geht nicht darum, Wünsche von Erwachsenen zu befriedigen, sondern dem Kindeswohl gerecht zu werden. Es gibt schon heute die Möglichkeit der Adoption. Zwei schwule Männer müssen zwei Rechtsakte ablegen, künftig wäre es einer.
Seibeld: Ich habe auch keine Bedenken bei der Volladoption. Das Recht zur Volladoption kann man aber auch regeln, ohne die Ehe zu öffnen.
Herr Wegner, befürchten Sie, dass die CDU den Anschluss an die gesellschaftliche Realität verliert, wenn sie weiterhin gegen die Öffnung der Ehe eintritt?
Wegner: Politik beginnt mit dem Betrachten der Lebenswirklichkeit. Wir müssen schauen, wie sich die Gesellschaft verändert hat. In 20 Jahren wird man sich fragen, warum das heute so umstritten war. Laut einer Umfrage hätten 75 Prozent der Berlinerinnen und Berliner kein Problem mit einer Öffnung der Ehe. Eine Volkspartei darf nicht jedem Trend hinterherlaufen, aber gerade in einer liberalen Stadt wie Berlin muss man sich fragen, ob man die gesellschaftliche Realität abbildet.
Glauben Sie, dass die CDU Wähler gewinnt oder verliert, wenn sie sich für die Öffnung der Ehe positioniert?
Seibeld: Ich glaube, dass wir kein einziges Mitglied und keinen Wähler dazugewinnen würden. Aber wir würden welche verlieren. Wir haben eine Klientel, die nicht verstehen kann, warum man ohne politische Not einem vermeintlichen Zeitgeist folgt. Ob das die Mehrheit ist, wissen wir, wenn das Ergebnis der Mitgliederbefragung vorliegt. Am Ende glaube ich, dass es in konservativen Wählerschichten für uns ein großer Nachteil wäre, wenn wir uns jetzt für die "Ehe für alle" entscheiden.
Gibt es wirklich den großen Nachteil, Herr Wegner? Auch im Hinblick auf mögliche Koalitionspartner in Berlin, die ja alle links von der CDU stehen?
Wegner: Wir gucken jetzt nicht auf mögliche Koalitionspartner. Es geht um ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema in unserer Partei. Ich glaube weder, dass wir Wähler oder Mitglieder verlieren, noch, dass wir welche gewinnen. Ich sehe eher, dass es für die Menschen auch andere wichtige Themen gibt – leistungsfähige Infrastruktur, bezahlbares Wohnen oder eine unideologische Bildungspolitik. Wenn zwei Männer oder zwei Frauen sagen, wir wollen heiraten, dann ist das zutiefst konservativ und bürgerlich. Die Ehe für alle und die Diskussion darüber stärkt die Ehe als Institution.
Frau Seibeld, Sie befürchten, dass die Ehe Schaden nimmt. Worin besteht der?
Seibeld: Wenn man die Ehe öffnet, entwertet man die einmalige Konstellation einer Partnerschaft mit leiblichen Kindern. Dieses Alleinstellungsmerkmal ist für viele Männer und Frauen, die heiraten wollen und sich mit der Frage befassen, ob sie Kinder haben möchten, sehr wichtig.
Wegner: Viele Ehen bleiben ohne Kinder, gewollt oder ungewollt. Deshalb teile ich dieses Argument nicht. Im Kern geht es darum, ob wir die Verpartnerung auch Ehe nennen dürfen. Im Sprachgebrauch redet man ja heute schon davon. Dann sollten wir uns dieser Lebenswirklichkeit auch stellen.
Seibeld: Viele Unverheiratete sprechen auch von ihrem Mann oder ihrer Frau. Das ist kein schlüssiges Argument. In fast allen Ehen ist aber die Frage nach Kindern irgendwann zentrales Thema, auch wenn man sich dagegen entscheidet. Das unterscheidet Ehe und gleichgeschlechtliche Partnerschaft.
Vertreter der evangelischen Kirche in Berlin und im Land Brandenburg wollen bei Trauungen keinen Unterschied mehr machen zwischen hetereo- und homosexuellen Paaren ...
Seibeld: Es wurde lediglich vereinbart, das ein Jahr lang in den Gemeinden zu diskutieren. Die Frage, wie der Staat mit der Ehe umgeht, muss man vom Umgang der Kirchen mit Ehe trennen. Bei uns gibt es die Trennung von Staat und Kirche, und das akzeptiere ich.
Wegner: Der Vorschlag der Synode hat aber die Öffnung der Ehe als klare Zielsetzung.
Die Kirche nimmt sich ein Jahr Zeit, Sie wollen das Thema, das offenbar die CDU spaltet, in kurzer Zeit abräumen. Dividiert das die Partei nicht mehr auseinander, als dass es sie zusammenführt?
Wegner: Die Diskussion stärkt unsere Partei. Sie wird sehr respektvoll geführt. Politiker anderer politischer Lager sagen mir im Vertrauen, so eine offene Diskussion würden sie sich in ihrer Partei auch wünschen. Unser Zeitplan ist anspruchsvoll, aber angemessen. Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, auf Zeit zu spielen.
Seibeld: Befürworter und Gegner haben deutlich gemacht, dass sie eine politische Heimat in der Union haben, dass es in einer Volkspartei unterschiedliche Positionen geben kann. Beide Positionen sind auch nicht der Untergang des Abendlandes.