Montag, 30. Juni 2025
Montag, 30. Juni 2025
 » Home » Archiv » Schwule Chronik » CSD in Deutschland

CSD-Gründer Bernd Gaiser: Der Queereinsteiger

Vor 40 Jahren gründete Bernd Gaiser mit anderen Homosexuellen den Berliner Christopher Street Day. Der Kampf, sagt er, ist noch nicht vorbei.

Es ist ein feuchtklammer Tag im Herbst. Regen und Wind peitschen in sein Gesicht. Bernd Gaiser, 20 Jahre alt, steht am Grab seines Kameraden, dessen einziger „Fehler“ darin bestanden hatte, andere Männer zu lieben. Es tut weh. Gaiser ist wütend. Vor allem aber quält ihn die Frage: Hätte er ihn retten können?

 

Auch Bernd Gaiser liebt die Männer, damals schon, aber im Verborgenen. Es ist 1965 und Gaiser bei der Marine. Wenige Wochen zuvor hatte er gerade Schreibstubendienst, als eine Akte mit dem Namen seines Freundes auf dem Tisch landete: Verstoß gegen Paragraphen 175. „Unzucht unter Männern.“ Der Wachhabende der Kompanie hatte den jungen Mann mit einem anderen in der Koje erwischt. Unehrenhafte Entlassung, es drohte die Anklage. Aber jetzt, in diesem einen kurzen Moment, hatte Gaiser die Möglichkeit, die Disziplinarakte aus dem Postausgangskorb verschwinden zu lassen.

 

„Ich hätte es tun sollen“, sagt er rückblickend. Damals traute er sich nicht. Und dann, wenige Wochen später, kam die Nachricht, dass sein Freund sich umgebracht hatte. Erschossen mit der Pistole auf dem Dachboden seiner Eltern.

 

Bei der Beerdigung an jenem verregneten Herbsttag in einer Kleinstadt in der Nähe von Heidelberg spürt Gaiser: Er kann nicht mehr. Will „nicht alles beim Alten lassen. Sich nicht mehr verstecken.“ Die Erkenntnis kommt mit dem Schmerz: Das Private ist politisch und das Politische privat. Und damit geht es los.

 

"Mach dein Schwulsein öffentlich!"

 

Heute, im Jahr 2018, ist Bernd Gaiser einer, den man kennt. Mindestens in der Szene. Und wenn nicht seinen Namen, dann zumindest das, was er gemeinsam mit anderen geschaffen hat: den Berliner Christopher Street Day. Er war vor 40 Jahren Mitbegründer der Parade, an der mittlerweile Jahr für Jahr mehr als eine halbe Million Menschen teilnehmen. Er erzählt gern davon, wie das war, als sein Freund Andreas Pareik ganz aufgeregt von einer New-York-Reise zurückkam und verkündete: „Dieses Jahr ist zehnter Jahrestag des Stonewall-Aufstands! Die wollen da eine Riesendemo machen, das brauchen wir auch in Berlin!“ In Stonewall hatten sich am 28. Juni 1969 zum ersten Mal Homosexuelle einer Polizei-Razzia in einer Schwulenbar widersetzt: dem „Stonewall Inn“ in der Christopher Street in New York. Das Ereignis gilt als Beginn der Schwulenbewegung.

 

Gaiser und seine Freunde meldeten eine Demo an, setzten sich mit einer kleinen Gruppe zusammen, um ein Flugblatt zu verfassen. Verteilten es wochenlang in der Berliner Subkultur, Bars und Kneipen. Bastelten gemeinsam Plakate im ersten West-Berliner Schwulenclub „SchwuZ“. „Schwul ist cool.“ Gaiser erinnert sich gut daran, wie sie sich dann, alle etwas aufgeregt und hibbelig, am letzten Samstag im Juni um zwölf Uhr am Savignyplatz trafen, um mit den Transparenten, Megafonen und Pritschenwagen über den Ku’damm in Richtung Halensee zu ziehen.

 

Ihre Forderungen richteten sich damals, neben der ersatzlosen Streichung des Paragraphen 175, stark ans eigene Klientel. „Mach dein Schwulsein öffentlich!“ „Lesben erhebt euch und die Welt erlebt euch!“ 450 Teilnehmer waren gekommen. Als der Regen dazu kam, tanzten sie durch die Pfützen. Befreiend sei das gewesen, sagt Bernd Gaiser. „Es war für mich wichtig, mich als schwulen Mann zu zeigen.“ Die Gesellschaft sei inzwischen etwas liberaler gewesen. Aber sie selbst, sagt er heute, „die Schwulen waren damals noch nicht sichtbar genug“.

 

Pfingsten 1973: die erste Homosexuellendemo in Berlin

 

Im Schwulen Museum, das in Berlin-Mitte von einem Verein getragen wird, sind Erinnerungen an den ersten CSD archiviert. In vier großen Kisten liegen sie im Keller. Das Anmeldeformular der Demo mit dem Stempel der Berliner Polizei, Zeitungsberichte „Der Spaß sprang über den Bürgersteig“, Fotos. Oben, im Ausstellungsraum, hängt auch ein Bild von Bernd Gaiser. Es zeigt ihn mit Schal und Stirnband, mit vollem Haar, weißer Tunika, einer Damenhandtasche. Und mit seinen Freunden. Eine schwarz-weiße Erinnerung an einen bunten Tag. „Wir waren hungrig nach dem Leben“, sagt Bernd Gaiser. „Wir haben damals über viele Dinge nachgedacht, aber nicht übers Älterwerden.“

 

Vollständiger Artikel (von Ann-Kathrin Hipp) nach zulesen im Tagesspiegel vom 23.07.2018: Weiterlesen!