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Der Sohn war "plötzlich" schwul

Erschienen am 19.05.2014 in Salzburger Nachrichten:

Wie geht es Eltern von homosexuellen Kindern? Eine Mutter spricht über den Tag, an dem sich ihr Sohn outete.

Diesen Tag vor drei Jahren wird Karin Waldhart aus Salzburg nie vergessen. Sohn Andreas steht kurz vor dem 16. Geburtstag. Kurz zuvor hat er via Facebook mitgeteilt, dass er seinen Beziehungsstatus geändert habe - er ist nicht mehr Single.

Karin Waldhart geht also zu ihrem Sohn, der gerade vor dem Computer sitzt, und fragt, ob er jetzt tatsächlich eine Freundin habe. "Nein." Die Mutter bohrt nach. Schließlich bekommt sie zur Antwort: "Ich habe einen Freund." Sie fragt, ob er sich da schon sicher sei. Andreas reagiert enttäuscht. Es fließen Tränen auf beiden Seiten. Doch die Eltern versichern schließlich, dass sie in jedem Fall fest hinter ihm stehen werde

Was bei der Mutter in den nächsten Tagen folgt, ist ein "Gefühlschaos", wie sie heute sagt. "Ich wusste damals nicht: Soll ich lachen oder weinen? Und mein erster Gedanke war: Wie kann ich ihn vor dem Hass beschützten, der ihm begegnen wird?"

Nur wenige Eltern homosexueller Kinder sprechen so offen über das Outing ihrer Söhne oder Töchter wie Karin Waldhart. Die meisten haben Angst vor möglichen negativen Folgen. Sogar der Sprecher der Elterngruppe der Homosexuelleninitiative HOSI in Salzburg ersucht, man möge nur seinen Vornamen nennen, Reinhard, nicht aber den Nachnamen. Denn seine lesbische Tochter (26) arbeite beruflich viel mit Kindern und könnte womöglich ihren Job verlieren, wenn ihre sexuelle Orientierung bekannt würde.

Reinhard und seine Frau erfuhren, dass sich die Tochter zu Frauen hingezogen fühlt, als diese 19 war. "Sie hat uns darauf vorbereitet, dass sie uns etwas Wichtiges sagen will." Die Tochter habe damals Angst gehabt vor der Reaktion der Familie. "Sie hatte die Sorge, dass ich sie rausschmeiße." Nach dem Outing sei er aber betont ruhig geblieben, sagt Reinhard. "Ich habe gesagt: ,Das ist o. k.‘ Und ich fragte sie: ,Was können wir tun, um dich zu unterstützen?‘" Ganz anders seine Frau. Sie haderte ziemlich mit der neuen Situation und kämpfte danach mit Depressionen.

Homosexualität ist bei vielen noch immer ein Tabu - trotz des allgemeinen Jubels um den homosexuellen Song-Contest-Sieger Tom Neuwirth alias Conchita Wurst.

In der Realität trauen sich manche nicht einmal zu den Besprechungen der Elterngruppe in das HOSI-Vereinszentrum zu kommen - auch wenn der Leidensdruck groß ist. Die Fragen, die Eltern beschäftigen, sind immer die gleichen: Wie soll ich mit der neuen Situation umgehen? Was habe ich falsch gemacht? Geht die homosexuelle Neigung irgendwann vorbei? Warum haben wir das nicht früher erkannt? Und was sagt die Verwandtschaft zu alldem?

Oft machen sich Eltern nach dem Outing der Kinder selbst Vorwürfe, suchen die Schuld bei sich oder auch beim Ehepartner.

Karin Waldhart und ihr Mann dagegen suchten Rat bei einem Sexualpädagogen. Der erklärte den verunsicherten Eltern, dass die Basis für die sexuelle Orientierung schon im Mutterleib gelegt werde.

Gerade während der Pubertät erleben viele homosexuelle Jugendliche eine schwierige Zeit. Angst und Verzweiflung könnten Suizidgedanken auslösen, das müsse man als Elternteil unbedingt ernst nehmen, heißt es bei der HOSI. Deshalb sollten Eltern vor allem eine Botschaft aussenden, sagt Karin Waldhart: "Hinter dem Kind stehen, ihm sagen, dass man ihm alle Hilfe geben wird." Und Reinhard, der Sprecher der Elterngruppe, betont: "Wir als Eltern sollten unseren Kindern nicht im Weg stehen mit unseren Ängsten."

Nach dem Outing habe sich Andreas gewandelt, sagt die Mutter. "Er ist plötzlich offener geworden, hat uns seinen Freund vorgestellt. Er steht jetzt dazu, dass er homosexuell ist. Zuvor hat er das jahrelang mit sich herumgeschleppt."

Und die Mutter? Sie weiß jetzt, dass die Angst der Eltern vor negativen Reaktionen oft unbegründet ist. Wenn Karin Waldhart Bekannten von der sexuellen Orientierung ihres Sohnes erzählt, bekommt sie meistens ein- und dieselbe Antwort: "Na und?"